Über meine Arbeit

Ich freue mich an dieser Stelle die Rede zur Ausstellungseröffnung ``beWEGt`` von Jürgen Thom veröffentlichen zu dürfen.
Es ist ihm gelungen, entscheidende Stationen meines künstlerischen Weges feinfühlig und zugleich im großen Bogen zu skizzieren. Vielen Dank!

09.03.2018

„beWEGt“, so betitelt die Künstlerin Andrea Wilmers ihre Ausstellung, die hier und heute in der Rathaus-Galerie Haselünne eröffnet wird.

Sie lebt und arbeitet in der Nähe der Stadt Bramsche, in Evinghausen im Osnabrücker Land, waldnah zurückgezogen, jedoch nicht weltflüchtig, sondern an einem ruhigen Ort, der Konzentration auf die künstlerische Arbeit befördert.

Die Künstlerin ist Haselünner Kunstfreunden bereits von einer Ausstellung aus dem Jahr 2008 bekannt, als sie inhaltlich gesellschaftskritisch und künstlerisch in abstrakter Ausführung die Ausstellung „bücher im feuer“ präsentierte.

Die damalige Ausstellung erfasste künstlerisch herausragend die Problematik, dass immer wieder geistiges menschliches Gut von materieller Vernichtung bedroht ist, sich jedoch entgegen jeglicher ideologischer Bedrohung gegen ausgeübte Gewalt behaupten kann. Diese letztlich optimistische Position im künstlerischen Werk von Andrea Wilmers findet sich auch hier in dieser heute zu eröffnenden Ausstellung und stellt dabei den Menschen ins Zentrum.

So verweist die Betitelung der heutigen Ausstellung auf Bewegung und Veränderung als Konstanten jedes menschlichen Tuns und darauf, dass sich alles bewegt, sich auf einem Weg befindet, dessen Etappen immer  wieder neu erfasst werden müssen.  (……)

Wenngleich grundlegende Gedanken der Künstlerin für ihre Arbeiten sich nachweislich in einen zeitlichen und geistigen Gesamtzusammenhang stellen lassen, so ist doch zunächst kurz aufzuzeigen, wie sie letztlich von ihrer abstrakten Weise der malerischen Darstellung zur Figuration gelangt ist, die jetzt den Menschen im Zentrum und als zentrales Motiv ihrer Werke sieht.

Bereits 2009 gestaltet die Künstlerin eine Serie mit 1 Meter mal 1 Meter großen Formaten, die sie „TORSI“ betitelt hat.

Diese T-Shirt- ähnlichen Formen lassen sich als zentraler Teil, als Mitte von menschlichen Körpern erfassen, die sich halbabstrakt als Form zum zentralen Bildmotiv auswachsen. Sie erinnern auch an ein Ursymbol, den 19. Buchstaben des griechischen Alphabets, als Majuskel das T im Alphabet , als Minuskel als Zeichen für die Kreiszahl π (Pi), bekannt aus dem Kosmos der Mathematik.

Die nächste Phase, die die Künstlerin auf dem malerischen Weg hin zur Figuration angeht, lässt sich als sogenannte „Schwarz-Weiß-Phase“ ansprechen. Verglichen mit dem Werkabschnitt, der durch abstrakte Malweise charakterisiert war, wächst in dieser Werkphase nach einem Übermalungsprozess von älteren Bildern der Mensch als Form in dezenter Farbigkeit aus den Werken heraus.

Erfahrungen aus Studien zu ihrer Diplomarbeit gehen hier in die künstlerischen Arbeiten ein; in ihrer damaligen Arbeit experimentierte die Künstlerin mit Farben, die Asche und Eisenoxyd implizierten. Das Eisenoxyd ist der Stoff, der Blut rot färbt, Blut gilt als Ich-Träger, als Aufenthaltsort der Seele und ist auch der Stoff, der Leben überhaupt erhält. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an das Judentum und seinen alttestamentlichen religiösen Bezug. Auch dort wird das Blut als Träger der Seele angesehen.

Asche demgegenüber lässt Gedanken an Vergänglichkeit, Auflösung und Vergehen aufkommen. Durch die Verwendung dieses Materials zur Herstellung der Farben für die Gestaltung von Gesichtern, entsteht bereits vom Material her eine dezidierte Spannung durch Antithetik: Werden und Vergehen. Beispiele finden sich auch hier in der Ausstellung („lauschend“ I, „lauschend“ II).

Blickt man nun auf das Werk „lauschende Kriegerin“ I, das Ihnen, werte Anwesende, von der Einladungskarte her bereits bekannt ist, so sehen Sie eine auf ihrem Weg selbstbestimmt entschlossen ausschreitende weibliche Figur, die sich anscheinend wohl durch nichts aufhalten lässt; die herablaufenden Farbschlieren könnten symbolhaft auf einen durchbrochenen geistigen Raum hindeuten, der noch unfertig und gedanklich nicht abgeschlossen die Figur umgibt. Ein angedeuteter Rahmen, auch in der Farbe Schwarz ausgeführt, verläuft in Gehrichtung der Figur und verliert sich.  Zur Bedeutung der Farbwahl werden Ausführungen folgen müssen. Die Figur könnte als Kriegerin, als Amazone, angesprochen werden. Sie trägt einen langen Speer in ihrer Armbeuge, das äußerlich Martialische steht als Symbol für ihre innere Stärke, und Kopfhörer bedecken ihre Ohren; jedoch wird dieses Bildmotiv der Kopfhörer in einer spezifischen Weise auch in anderen Werken verwendet (s.z.B. auch „lauschende Kriegerin“ II und in „lauschend“ I und II sowie in „Krönchen“ VI). Die Kopfhöhrer sind ohne Anschluss zu einem entfernten Sender erkennbar, sie verschließen die Ohren der Figur, ermöglichen dadurch eine verstärkte Besinnung und Konzentration auf sich selbst durch Abschluss von der störenden Umwelt und ermöglichen damit anhaltendes und nachhaltig wirkendes Hineinlauschen in ihre eigene innere Welt.

Das Motiv zeigt als Figur Nähe zur Person der Künstlerin selbst, die sich auch auf einem Weg befindet, aus ihrem Inneren Kräfte generiert und auf ihrem künstlerischen Weg entschlossen und selbstbestimmt voranschreitet.

Die gegenwärtige Phase der künstlerischen Arbeit von Andrea Wilmers ist nicht durch ein orientierungsloses Ausschreiten in unendliche grenzenlose kosmische und spirituelle Weiten charakterisiert, sondern präsentiert Figuren, ausnahmslos weiblich, die als Motiv in den Bildern auch als Rückenansicht erscheinen (s.z.B. „beWEGt“ VI, VII, VIII und IX sowie „Schnittmuster“ III und IV).

Diese malerische Hervorhebung des Motivs in einer Rückenfigur kann der Darstellung des Tiefenraumes dienen, wie oben ausgeführt, oft spirituell aufgeladen, auf der zweidimensionalen Bildfläche. Mittels dieser Darstellungsweise des figürlichen Zentralmotivs kann sich der Betrachter des Bildes mit der ins Bild schauenden Figur identifizieren und so die vermittelnde Räumlichkeit, im Werk von Andrea Wilmers oft eine angedeutete sich öffnende spirituelle Welt, nachempfinden. Hier hinein schreiten die Figuren selbstbestimmt aus.

Malerisch wird dieser Eindruck durch angedeutete in schwarz ausgeführte Rahmen oder durch Schwarz als Hintergrundfarbe unterstrichen. Jedoch markieren Zonen oder Öffnungen in eine Schwärze hinein nicht einen Gang ins dunkle Nichts des Todes, sondern verweisen auf ein Tor, gleichsam Eintrittspforte in einen weiten spirituellen Raum, der die Figuren in einer sie entwickelnden Weise beeinflusst und voranbringt (z.B. im Werk „bewegt“ VI und VII).

Zentrale Bedeutung kommt in vielen aktuellen Werken der Künstlerin Schnittmusterbögen zu, die in vielfältigen Variationen, korrespondierend mit dem zentralen Motiv, einer menschlichen Figur, Verwendung finden (Serie „Schnittmuster“ I – VIII“). Damit löst sich die Künstlerin auch von der abstrakten Darstellung und kehrt zur Konkretion im Figürlichen vorsichtig zurück. Als Schnittmuster bezeichnet man in der Schneiderei die Papiervorlagen, nach denen Stoff zugeschnitten wird, indem das zweidimensionale Schnittmuster genau ein dreidimensionales Kleidungsstück, in Einzelteile zerlegt, darstellt.

Im Zentrum aller künstlerischen Werke dieser Serie steht, wie bereits oben ausgeführt, der Mensch, den Fragen umtreiben könnten, wie z.B.: Wie passe ich in meine Haut, wie korrespondiert mein Wesen mit meiner Hülle, wie kann ich ggfl. meine Hülle entsprechend den Anforderungen der jeweiligen Wegstrecke anpassen bzw. sie auch passend machen und mich neu vermessen?

Das Schnittmuster kann wie ein Kopftuch getragen werden („Schnittmuster“ VIII) oder auch verdeutlichen, dass die Hülle, in die man geschlüpft ist, zu gross („Schnittmuster“ V) oder zu durchsichtig geraten ist („Schnittmuster“ IV); auch bei diesem Werk in Rückenansicht lässt sich die dargestellte Figur und frühere Phasen des Werkes der Künstlerin zurückführen, die „Torsi“ (S. auch „Krönchen“ I).

Zu den Farben bzw. der Darstellungsweise einiger Figuren ist anzumerken, dass Haarlosigkeit z.B. nicht als modischer Trend missverstanden werden darf, sondern Reduktion bedeutet, Beschränkung auf das Wesentliche, auf den jeweiligen Kopf, aus dem heraus durch gesicherte Innenschau Welt erfasst wird. Die z.T. schwarz gestalteten Köpfe oder Extremitäten sollen durch diese Farbgestaltung nicht isoliert eine Rasse abbilden, sondern universale Gestalten aufzeigen, jenseits jeglicher Rassenzugehöhrigkeit (vgl. „gedehnt“ und „gerahmt“), spirituell aufgeladen. So weist auch die Farbe Gold, in mittelalterlicher Kunst der Betonung des Heiligen vorbehalten, auf das Besondere in der Bedeutung des Motivs hin. Ein goldenes Auge könnte z.B. auf die fast heilige Handlung einer inneren Schau hinweisen (s. Werk „Lauschend“ II).

Das zweite Bild, das die Einladung zur Ausstellung enthält („entkleidet“ II), zielt auch nicht auf eine erotische Wirkung der Frauengestalt, sondern die goldgelbfarbene Markierung der weiblichen Brüste überhöht deren Aufgabe als Nährerin zu einer fast heiligen Handlung:Nachdem sie unter Schmerzen einem Kind das Leben geschenkt hat, spendet sie hingebungsvoll mütterliche Nahrung, um dieses Leben zu erhalten und es weiter entwickeln zu lassen. (…..)

Das Werk „beWEGt“ I zeigt eine Frauengestalt, gemalt in Acrylfarbe, jedoch wird beim Farbauftrag, wie auch in anderen Bildern, Asche verwendet; diese Farbmischung führt zu einer Farbigkeit, die sowohl die Figur als auch den „Rahmen“, in den die Figur gestellt ist, in einem grauen Farbton erscheinen lässt; dieser Farbton ist sozusagen universal, denn in ihm sind alle Farben enthalten.

Asche, die als Material für die malerische Ausführung mit verwendet wird, kann auch als Beispiel für die Transformation (Wandel) von Materie aufgefasst werden: panta rhei, alles fließt, alles ist einem Wandel unterworfen. Dies muss als Grunderkenntnis festgestellt werden, dass alles was entstanden ist, auch wieder vergeht, flüchtig wird wie Asche, die der Wind verweht.

Die Künstlerin weist durch die Verwendung von gerubbelten Bühnenleinwänden für künstlerische Arbeiten darauf hin, dass nicht nur Auflösung, sondern auch Veränderung zu den Grundkonstituenten menschlicher Existenz gehören: Übermalungen, Aufkleben von zusätzlichem Material, dadurch Collageeffekte, gehören zu den Mitteln der künstlerischen Darstellung in ihren aktuellen Werken.

Weitere kleinformatige Werke, z.B. eine Serie von Collagen, in die Schnittmuster in selbstgeschlöpftem Papier eingebracht sind, und eine Serie von Buchdeckeln, die gestalterisch durch gegenübergestellte bemalte Vorder- und Rückseiten auch auf Antithetik hin angelegt sind, runden die Ausstellung mit den großformatigen Werken durch kleinere Formate ab.

Der Ausstellung wünsche ich den besten Erfolgt, ebenso der Künstlerin, die sich auf neuen Wegen befindet und erkennbar zu neuen Horizonten aufbricht, aufrecht schreitend wie die „Kriegerin“ und entschlossen, aber auch achtsam auf ihre innere Stimme lauschend.

Ich wünsche den Besuchern der Ausstellung besinnliche und vielleicht erweckende Eindrücke und Freude bei der Betrachtung der Werke einer Künstlerin, die ihr Handwerk gut versteht und daraus meisterhaft Kunst gemacht hat.

 

– Jürgen Thom